V: Grenzen der Utopie – Von Freuds Unbehagen zu Adornos reformistischem Maoismus

Datum: 
Dienstag, 12. April 2016 - 16:40 - 18:10
Ort: 
HSZ/401/H
Veranstaltet von: 
Referat politische Bildung

Referent: Felix Riedel

Utopien entstanden mit der Zertrümmerung des Glaubens an die Legitimität der feudalistischen Gesellschaft. Wenn die Gegenwart falsch war und ein Paradies nicht erwartet werden konnte, musste Gesellschaft neu erfunden werden. Utopie wurde in der Folge meist mit technologischen oder mit gesellschaftlichen Revolutionen verbunden. Der Sozialismus brachte als Utopie den „neuen Mensch“ mit sich, der nach Abschaffung des Privateigentums entstehe. 
Freuds “Unbehagen in der Kultur” diagnostiziert hingegen einen unauslöschlichen Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft. Er setzt utopistischen Gesellschaftsentwürfen des Sozialismus einen skeptischen Realismus entgegen. Utopie ist allenfalls ein halbwegs gelungener Kompromiss. Jenseits der individuellen Therapie will die freudianische Psychoanalyse bestimmte gesellschaftliche Praktiken wie Kindesmisshandlung, sexuellen Missbrauch, Demütigung, Erziehung zur Scham, Beschneidung, Körperstrafen einzudämmen und somit Individuen eine freiere Wahl ermöglichen, die irrationalen Aspekte von Vergesellschaftung minimieren. Die manische Erwartung eines utopischen Gesellschaftszustands wird mit einer depressiven, realistischen Position konfrontiert. 
Das eigene Elend vom äußeren zu trennen verlangt aber nach einer Gesellschaftskritik, die dem Einwandern des Tauschzwangs bis ins Innerste des Sexuallebens folgt. An dieser objektiven Tendenz der Individualpsychologie arbeitet Adorno weiter. Adorno steht der zeitgenössischen, amerikanischen Psychoanalyse misstrauisch bis ambivalent gegenüber. Seine antikonformistischen Sexualvorstellungen sympathisieren mit dem Wilden, Fetischistischen, von Zivilisation nicht ganz erfassten und integrierten. Aufklärung wird zur „Entbarbarisierung“ des platten Landes, das bis in die Akademien reicht. Seine Utopie von einer Gesellschaft wird jedoch nicht primitivistisch oder antiintellektualistisch. Sie bedarf der irrationalen Utopie, die gegen die Realität sich setzt, wissend, dass sie nicht Realität werden kann: rien faire comme une bete. Nichtstun wie ein Tier. Und doch verkündet er, in einer befreiten Gesellschaft auch als Liftboy zu arbeiten – Reduktion als Möglichkeit der Rückkehr zur einfachen Arbeit, ohne Arbeit oder Härte zu verherrlichen, ohne auf die Sterne anzurennen, ohne Expansionszwang. Ideal wird die nicht verdinglichte Muße, die Arbeit sein kann, ohne sich dessen zu schämen. Adornos Utopie wendet sich mit diesem reformistischen „Maoismus“ gegen die Fortschrittsutopie des Sozialismus und der bürgerlichen Gesellschaften und stellt so das Freudianische Unbehagen der Kultur vom Kopf auf die Füße.

Die Vorlesung ist Teil der Ringvorlesung des Referats politische Bildung: "NOWhere - Nirgendwo ins Irgendwo. 14 Kommenatre zu utopischem Denken".