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Vortrag: Prof. Dr. Gerhard Stapelfeldt: “Neue Freiheit und strukturelle Gewalt in der EU: Grundrechte-Charta, Wettbewerbs-Markt und monetäre Ordnung”
Die europäische Integration stand, seit dem Vertrag zur Gründung der EGKS von 1951/52, unter dem einen politischen Ziel: daß nach dem von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg der „Weltfriede“ zu sichern sei durch die Integration der BRD in ein europäisches Bündnis-System, zuerst durch die Vergemeinschaftung der für die Waffenproduktion zentralen deutschen Schwerindustrie. Dieses politische Ziel sollte auf unpolitische Weise durch die Konstitution einer europäischen, formalrechtlich geregelten Wirtschafts-Technokratie erreicht werden.
Das politische Ziel drückte sich nach 1980 und nach 1990 aus in der Aufnahme zuerst der ehemaligen Diktaturen Südeuropas, dann der ehemaligen COMECON-Staaten Mittel- und Osteuropas in die EG/EU. Insofern ist die EU allererst eine Werte-Gemeinschaft. Die Grundwerte der EU wurden jedoch erst im Jahre 2000 in einer Grundrechte-Charta fixiert.
Die unpolitische wirtschafts-technokratische Integration fand bis 1971/73 statt unter dem Dach der administrativ geregelten Weltwährungsordnung von Bretton-Woods. Nach deren Zusammenbruch wurde die Integration nach den Dogmen des Neoliberalismus und des Monetarismus vollzogen.
Während das politische Ziel der Sicherung des Weltfriedens noch der klassisch-liberalen Menschenrechtserklärung entsprach und auf Kants Vernunft-Utopie des „ewigen Friedens“ verweist, folgt die neoliberale und monetaristische Wirtschafts- und Währungs-Integration der EU den Normen der Neuen Freiheit. Deren Theoretiker bestimmen den neuen Liberalismus als Übertragung der Lehre Darwins auf Wirtschaft und Gesellschaft: als Übertragung des von Darwin erkannten „Krieges der Natur“ in eine Marktordnung, in der Wettbewerber um den „Sieg der Erfolgreichen“ und die „selektive Ausmerzung“ der Verlierer kämpfen. Gemessen am politischen Ziel der Integration erweist sich die ökonomische Ordnung als ein System struktureller Gewalt.
Diese Transformation kann an der Grundrechte-Charta der EU sowie an den vertraglichen Regelungen von Wettbewerbs-Markt und Währungs-Ordnung studiert werden.
Prof. Dr. Gerhard Stapelfeldt lehrte von 1979 bis 2009 am Institut für Soziologie der Universität Hamburg. Seitdem arbeitet er als freier Schriftsteller in Hamburg.