Vortragsreihe PSYCHOANALYSE & GESELLSCHAFTSKRITIK

Obwohl gesellschaftliche Verhältnisse menschengemacht sind, treten sie dem ohnmächtigen Individuum als unabänderbare Realität entgegen. Die kapitalistische Vergesellschaftung spiegelt sich in der Beschädigung der Subjekte, auch wenn diese nur selten als Pathologie offen zutage tritt. Zwar ist nicht jede psychische Disposition auf das „falsche Ganze“ zurückzuführen, aber der Einfluss derselben bleibt unbestreitbar. Denn durch die Anpassungsleistung, die das Individuum vollbringen muss, widerfährt ihm Leid, das es in seiner Ohnmacht aber nicht auf seine gesellschaftlichen Ursachen zu reflektieren vermag, sondern im Gegenteil nach außen gegen „das Andere“ oder sich selbst wendet und so aufs Neue die falsche Einrichtung reproduziert.
Sigmund Freud hat als Begründer der Psychoanalyse nicht nur der Behandlung von psychisch Kranken neue Wege gewiesen. Seine Schriften gaben auch Impulse für kulturtheoretische Auseinandersetzungen mit der Frage, wie sich die Sozialisationsprozesse der Subjekte auf ihren psychischen Apparat auswirken. Freud bestand zwar auf der Kulturleistung, der gesellschaftlichen und kulturellen Zurichtung, unterschlug dabei aber nicht, dass die Menschen sich um der Zivilisation willen schmerzhaft Wünsche versagen müssen. Dass der Einzelne sich dieser untersagten Begierden nicht vollends bewusst ist, dass sich Teile seines Seelenlebens der konkreten Herrschaft des eigenen Willens entziehen, ist Erkenntnis der Psychoanalyse. Darin liegt gleichsam die „dritte Kränkung der Menschheit“, weil es das Subjekt schmerzt, anzuerkennen, dass es schlicht nicht „Herr im eigenen Hause“ ist.

Freuds Thesen zur Rolle der Triebe, des Unbewussten und der frühkindlichen Sexualität für die Subjektkonstitution wurde oft widersprochen. Häufig scheint jedoch die Kritik an der Psychoanalyse die besagte These von der „dritten Kränkung“ zu bestätigen und wieder einen Schritt hinter die Erkenntnisse Freuds zurück zu fallen. Die Kritische Theorie hingegen kombinierte ihre Gesellschaftskritik mit psychoanalytischen Kategorien, um die Wechselwirkungen von gesellschaftlichem und individuellem Wahn erfassen und kritisieren zu können.

In dieser Vortragsreihe soll der Frage nachgegangen werden, wie es heute um die Anschlussfähigkeit einer kritischen Gesellschaftstheorie an die Psychoanalyse bestellt ist. Können die Kategorien der Psychoanalyse noch erklären, was den vereinzelten Individuen des 21. Jahrhunderts geschieht?

Neben dem generellen Verhältnis von Gesellschaftskritik und Psychoanalyse, soll zunächst die feministische Kritik an Freud diskutiert werden. Zudem wird ein Vortrag dem Verhältnis von Geschlechtlichkeit, Fetischismus und Tod gewidmet sein. Anschließend wird es um die Bedeutung psychoanalytischer Kategorien zur Erklärung von Antisemitismus und um die Relevanz Freud‘scher Thesen zur Massenpsychologie im Hinblick auf Hass gegen Homosexuelle gehen.

 


Die einzelnen Veranstaltungen im Überblick:

 

Eine kritische Einführung in die Psychoanalyse

Johanna Schmidt
02.12.2013, HSZ / E01 / U, 18:30

Die Einwände gegen die Psychoanalyse – die meist schon vorab als widerlegte oder gar lächerliche Theorie abgetan wird – sind vielfältig: So steht sie in der Kritik,deterministisch, individualistisch und anti-feministisch zu sein. Ihr wird vorgeworfen, den Menschen als notwendiges Produkt seiner Kindheitsentwicklung zu verstehen. Sie würde des Weiteren gesellschaftliche Einflüsse auf das Individuum nicht hinreichend mit einbeziehen und könne somit soziale Phänomene nicht erklären. Außerdem konzentriere sich psychoanalytische Theorie nur auf das Männliche und rechtfertige eine Inferiorsetzung von Weiblichkeit.
In dem Vortrag sollen – nach einer kurzen Erläuterung psychoanalytischer Grundannahmen – solche Meinungen und Einwände auf ihre Richtigkeit überprüft und der Frage nachgegangen werden, inwieweit psychoanalytische Theorie für eine Ideologiekritik der modernen Gesellschaft fruchtbar gemacht werden kann. Im Vortrag werden neurotische Zwänge am Beispiel des Waschzwangs sowie familiäre sexuelle Übergriffe thematisiert.

Es besteht somit eine Trigger-Gefahr für Betroffene.

 

Hass auf Vermittlung und Lückenphobie. Zur Aktualität der Psychoanalyse
Christine Kirchhoff

04.12.2013, HSZ / 101 / U, 18:30

Theodor W. Adorno bezeichnete die Psychoanalyse als die einzige Psychologie, „die im Ernst den subjektiven Bedingungen der objektiven Irrationalität nachforscht“. Im Vortrag soll es darum gehen, diese Feststellung zu entfalten und damit auf ihre Voraussetzungen und Konsequenzen zu befragen:
Was heißt hier objektiv? Warum ist die Objektivität irrational? Was wäre demgegenüber rational? Ist Gesellschaftskritik auf Psychoanalyse verwiesen und wenn, warum? Warum ist es überhaupt wichtig, sich auch mit der individuellen Ver- und Bearbeitung gesellschaftlicher Verhältnisse zu befassen? Warum ist die Psychoanalyse – zumindest der Möglichkeit nach – eine kritische Theorie?
Zunächst wird es also mit Rekurs auf Marx und die kritische Theorie v.a. Adornos um die Frage gehen, was unter gesellschaftlicher Objektivität zu verstehen ist.
Ausgehend von diesen Bestimmungen soll es im zweiten Teil des Vortrages um die subjektiven Bedingungen gehen und damit um die Psychoanalyse als kritische Theorie des Subjekts, um das Verhältnis von Natur und Kultur im Menschen, um Sexualität und Triebe, um die Freudsche Metapsychologie und wiederum darum, warum das alles gerade weil es so ungesellschaftlich daher kommt, eine Menge mit Gesellschaftskritik zu tun hat.

 

Psychoanalyse des Antisemiten
Nico Altenhoff

12.12.2013, HSZ / E01 / U, 18:30

Der Antisemitismus ist ein „sozialpsychologisches Phänomen“, welches auf der Deformierung von „Unbewusstem in falsches Bewusstsein“ beruht. Die Haltung des Antisemiten folgt einem zutiefst irrationalen Trend. Mit Hilfe der Psychoanalyse wurde ein Weg geschaffen, den unterbewussten Bereich in der menschlichen Psyche, d.h den Ursprung der Triebe und Leidenschaften, zum Gegenstand der psychologischen Forschung zu erheben. Obschon die Psychoanalyse, insofern sie auf sich selbst verwiesen bleibt, kein vollständiges Verständnis des Antisemitismus beanspruchen kann, ist sie doch unentbehrlich für eine Analyse des antisemitischen Individuums. Im Vortrag wird es darum gehen, die zentralen Thesen verschiedener ausgewählter Schriften zu referieren, um anhand dieser Überlegungen, welche die Psychoanalyse des Antisemiten zum Gegenstand haben, zu charakterisieren.



Der Sex-Appeal des Anorganischen. Zum Verhältnis von Fetischismus, Begehren und Vergänglichkeit
Lars Quadfasel

17.12.2013, HSZ / E01 / U

»Le mort saisit le vif«, der Tote packt den Lebenden, heißt es bei Marx im Vorwort zum Kapital. Diese Zeile enthält bereits in nuce, was Marx später als das Geheimnis des Fetischismus entfalten wird: die Verkehrung menschlicher Verhältnisse in ein Verhältnis von Dingen, die Vorherrschaft des unbelebten Produkts über dessen lebendigen Produzenten. Wenn im Kapital daher von der »toten Arbeit«, der vampirischen Gestalt des Kapitals die Rede ist, dann ist das nicht als blumige Rhetorik zu verstehen, sondern als präzise Bestimmung.

Wohl als erster hat Walter Benjamin diesen Gehalt der Kritik der politischen Ökonomie erfasst. Im Passagenwerk schreibt er über die Ware, »sie verkuppelt den lebendigen Leib mit der anorganischen Welt. Der Fetischismus, der dem Sex-Appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv.« Damit erweitert er den Marx'schen Begriff des Fetischismus um eine sinnliche Dimension, die bei Marx selbst stets nur implizit bleibt – und verweist zugleich auf den Fetisch-Begriff bei Sigmund Freud, welcher gleichfalls, wenn auch mit vollkommen anderem Instrumentarium, die Verdinglichung des Lebendigen beschreibt.

Mit der Psychoanalyse ist immer zugleich auch die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter gesetzt. Nicht zufällig entwickelt Benjamin den Zusammenhang von Ware und Tod am Modellfall der Mode. Waren es in der Vormoderne die Frauen, denen das Skandalon der Sterblichkeit aufgebürdet wurde und die, in Abgrenzung zu der Ewigkeit gestellten patriarchalen Gemeinschaft, die Vergänglichkeit alles Irdischen zur verkörpern hatten, so heute die Waren, die sie auf der Haut tragen: Die ewige Wiederkehr des Neuen inszeniert die Flüchtigkeit – und verleugnet sie zugleich. Dieser Konstellation aus Geschlechtlichkeit, Fetischismus und Tod, aus Moderne und Archaik soll im Zuge des Vortrags nachgegangen werden – nicht zuletzt im Hinblick auf die Frage, wie es den Menschen gelingt, ausgerechnet die von ihnen entfesselten Destruktionskräfte auch noch zu lieben.

 

Massenpsychologie und Homosexualität
Tjark Kunstreich

19.12.2013, HSZ / E01 / U

Das regressive Bedürfnis, das wusste schon Freud, führt zur Auflösung der Einzelpersönlichkeit in die Masse: So beschreibt er in Massenpsychologie und Ich-Analyse, „(den) Schwund der bewussten Einzelpersönlichkeit, die Orientierung von Gedanken und Gefühlen nach gleichen Richtungen, die Vorherrschaft der Affektivität und des unbewussten Seelischen, die Tendenz zur unverzüglichen Ausführung auftauchender Absichten“ als seine Bestandteile. Das „Ich-Ideal“ wird nach Freud an den Führer delegiert. Doch die Zeiten haben sich geändert und „die Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft hat das Freudsche  Modell durch ein soziales Atom ersetzt, dessen seelische Struktur nicht mehr die Qualitäten aufweist, die Freud dem psychoanalytischen Gegenstand zusprach“ (Herbert Marcuse). Was ist mit dem Führer geschehen? Die Massenbewegung gegen die „Ehe für alle“ in Frankreich wollte zurück zu einem Zustand, in dem die Gesellschaft das „Freudsche Modell“ wieder einsetzt – die Verantwortung für die soziale Atomisierung wird jedoch den Homosexuellen und anderen Minderheiten zugeschrieben, die von diesem Prozess profitiert haben. Die scheinbar führerlose Massenbewegung in Frankreich gibt ebenso wie der Homosexuellen-Hass islamisierter Banden Anlass zu der Frage, weshalb für diese scheinbar egalitären Gruppierungen die Befassung mit der Homosexualität von so großer Bedeutung ist.

 

Die Vortragsreihe wird veranstaltet vom Referat für politische Bildung der TU Dresden.

Weitere Informationen zu den Vortägen und den ReferentInnen findet ihr im Kalender des Stura.