Mechaniker der Stabilität, Treuhänder des Todes - Der Neoliberalismus in der Eurokrise (Vortrag von Till Grefe)

Datum: 
Montag, 21. Januar 2013 - 18:30
Ort: 
HSZ 301
Veranstaltet von: 
Referat für politische Bildung

Im Rahmen der Vortragsreihe "Krise der EU - Krise Europas?" wird Till Grefe u.a. aus einer kritischen ökonomischen Perspektive ins Thema einführen:

Der autoritäre Charakter der europäischen Integration tritt nicht allein mit den rigiden Sparprogrammen in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien zutage, vor allem in Osteuropa formieren sich rassistische und antisemitische Parteien und Bewegungen. Bisher hat die Linke gegen die ideologische Grundlage der europäischen Integration, den Neoliberalismus, kein Gegengift gefunden. Mit der grundlegenden Behauptung der Unerkennbarkeit der Welt hebelt das neoliberale Denken die klassische linke Kritik, die sich am Einrichten vernünftiger gesellschaftlicher Verhältnisse orientiert, aus. Die Welt an sich erscheint im Neoliberalismus als nicht durchschaubar und deshalb auch nicht als vernünftig gestaltbar. Gestus dieses Denkens ist Demut vor der Komplexität und Dynamik der Realität, allerdings einer Komplexität und Dynamik von sozial atomisierter  Monaden.
Die Schwäche linker Kritik besteht darin, dass sie Neoliberalismus als Inbegriff von Rationalisierung und Deregulierung geißelt – dabei ist er das genaue Gegenteil. Als Inbegriff von williger Irrationalität und Geschichtsvergessenheit, von Autoritarismus und Selbstaufgabe menschlicher Individuen ist er die dauernde Regulierung zur Irrationalität. Der Neoliberalismus beerbt nicht weniger den autoritären faschistischen Staat wie er auch treuhänderisch die negativen Aufhebung des Kapitals  im Mordkollektiv des Nationalsozialismus verwaltet. Er ist der gelebte Traum vom schlanken „starken Staat“ im „europäischen Großraum“ und einer „gesunden Wirtschaft“, er entspricht im deutschen Fall einer Gesellschaft der geläuterten Antisemiten und Rassisten, die den zivilgesellschaftlichen Antizionismus um so inniger zelebrieren, je mehr sie den staatlichen Antiziganismus demonstrativ dulden.

 

Till Grefe publiziert unregelmäßig in der Wochenzeitung jungle world zu den Themenschwerpunkten Antifaschismus, Ökonomie sowie Sicherheitspolitik. Aktuell hat er sich der kritischen Dechiffrierung politischer und kultureller Phänomene verschrieben, was erst kürzlich im FreibÄrger-Essay "Infantile Maskeraden" Ausdruck fand.