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Gesellschaftskritik & Psychoanalyse. Der Sex-Appeal des Anorganischen - Zum Verhältnis von Fetischismus, Begehren und Vergänglichkeit
Gesellschaftskritik & Psychoanalyse
Der Sex-Appeal des Anorganischen - Zum Verhältnis von Fetischismus, Begehren und Vergänglichkeit
»Le mort saisit le vif«, der Tote packt den Lebenden, heißt es bei Marx im Vorwort zum Kapital. Diese Zeile enthält bereits in nuce, was Marx später als das Geheimnis des Fetischismus entfalten wird: die Verkehrung menschlicher Verhältnisse in ein Verhältnis von Dingen, die Vorherrschaft des unbelebten Produkts über dessen lebendigen Produzenten. Wenn im Kapital daher von der »toten Arbeit«, der vampirischen Gestalt des Kapitals die Rede ist, dann ist das nicht als blumige Rhetorik zu verstehen, sondern als präzise Bestimmung.
Wohl als erster hat Walter Benjamin diesen Gehalt der Kritik der politischen Ökonomie erfasst. Im Passagenwerk schreibt er über die Ware, »sie verkuppelt den lebendigen Leib mit der anorganischen Welt. Der Fetischismus, der dem Sex-Appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv.« Damit erweitert er den Marx'schen Begriff des Fetischismus um eine sinnliche Dimension, die bei Marx selbst stets nur implizit bleibt – und verweist zugleich auf den Fetisch-Begriff bei Sigmund Freud, welcher gleichfalls, wenn auch mit vollkommen anderem Instrumentarium, die Verdinglichung des Lebendigen beschreibt.
Mit der Psychoanalyse ist immer zugleich auch die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter gesetzt. Nicht zufällig entwickelt Benjamin den Zusammenhang von Ware und Tod am Modellfall der Mode. Waren es in der Vormoderne die Frauen, denen das Skandalon der Sterblichkeit aufgebürdet wurde und die, in Abgrenzung zu der Ewigkeit gestellten patriarchalen Gemeinschaft, die Vergänglichkeit alles Irdischen zur verkörpern hatten, so heute die Waren, die sie auf der Haut tragen: Die ewige Wiederkehr des Neuen inszeniert die Flüchtigkeit – und verleugnet sie zugleich. Dieser Konstellation aus Geschlechtlichkeit, Fetischismus und Tod, aus Moderne und Archaik soll im Zuge des Vortrags nachgegangen werden – nicht zuletzt im Hinblick auf die Frage, wie es den Menschen gelingt, ausgerechnet die von ihnen entfesselten Destruktionskräfte auch noch zu lieben.
Zum Referenten
Lars Quadfasel ist assoziiert in der Hamburger Studienbibliothek [http://studienbibliothek.org] und der Gruppe Les Madeleines [http://lesmadeleines.wordpress.com/]. Er schreibt u.a. für Konkret, Jungle World und Extrablatt.