Vortrag: Historische Bedingungen, Funktionen und Grenzen keynesianischer Krisenverwaltung – oder: Warum ein ‘Zurück zu Keynes’ heute kein Ausweg aus der Krise sein kann

Datum: 
Mittwoch, 2. Dezember 2015 - 19:00 - 21:00
Ort: 
HSZ/103/U
Veranstaltet von: 
Referat für politische Bildung

Referent: Dr. Tino Heim

Im 20. Jahrhundert versprach der Keynesianismus einen Ausweg aus der Kapitalverwertungskrise der 1920er und 30er Jahre und brachte nach dem 2. Weltkrieg auch eine ungekannte Ausdehnung der Massenproduktion und des Massenkonsums in Europa und Nordamerika. Das einfache und wirksame Rezept, durch höhere Löhne und Staatsausgaben für Bildung, Infrastruktur und Kultur (aber v.a. auch für das Militär) Produktion und Massenkaufkraft zu steigern, um Unterkonsumtionskrisen zu vermeiden, schien die endlich gefundene Zauberformel, um alle Widersprüche und Konflikte des Kapitalismus in Harmonie aufzulösen: Profitmaximierung, Staatsexpansion und der Wohlstand der Lohnarbeitenden sollten fortan im Gleichschritt des Wachstums einer frohen gemeinsamen Zukunft entgegen gehen. Kein Wunder also, dass in der aktuellen Krise ganz verschiedene Lager unisono um ‚die Rückkehr von Keynes‘ flehen – vom Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugmann über weite Teile der neuen Rechten in Europa bis zu SYRIZA und großen Teilen der deutschen Linken. Genauer betrachtet waren aber weite Teile der Krisenpolitik seit 2008 de facto keynesianisch. Und waren nicht selbst die neoliberalen ‚Reaganomics‘ der 1980er in manchen Aspekten nur eine verkappte militaristische Variante von Keynes‘ Modell des ‚Deficit Spending‘? Anscheinend ist die Wundermedizin nie wirklich abgesetzt worden, sie wirkt nur nicht mehr.

Das wirft einige Fragen auf: Was waren die Erfolgsbedingungen des Keynesianismus in den 1930er Jahren und warum hielt Keynes den ‚New Deal Hitlers‘ für erfolgreicher als den von Roosevelt? Wie funktionierte der keynesianische Kapitalismus in seiner Blütezeit von 1945-1967 und waren diese Jahre wirklich eine Epoche allgemeiner Glückseligkeit? Warum kam es in den späten 1960er Jahren zu so gravierenden soziokulturellen und politischen Krisenmanifestationen, und warum ließ sich die ökonomische Krise der 1970er Jahre rein keynesianisch nicht mehr bewältigen? Kann heute eine weitere Anreizung zur Beschleunigung und Ausweitung von Produktion und Konsum tatsächlich die Lösung der globalen sozialen und ökologischen Probleme sein, wo die kapitalistischen Zentralstaaten doch mit dem global produzierten stofflichen Reichtum schon jetzt nichts anderes mehr anzufangen wissen als ihn massenhaft zu vernichten, um möglichst schnell noch mehr zu produzieren, um es noch schneller zu vernichten? Ahnte vielleicht sogar schon Keynes selbst die Grenzen des nach ihm benannten Akkumulationsmodells? Diese und andere Fragen will der Vortrag anhand einer immanenten Kritik dieser Variante der neoklassischen Ökonomie diskutieren.