Christoph Hesse: Kulturindustrie, das sind wir alle

Datum: 
Mittwoch, 26. April 2023 - 19:00
Ort: 
objekt klein a, Meschwitzstraße 9
Veranstaltet von: 
Referat Politische Bildung

Kaum ein Begriff der Kritischen Theorie fand so weite Verbreitung wie der der Kulturindustrie, den Horkheimer und Adorno in der im kalifornischen Exil entstandenen Dialektik der Aufklärung (1947) geprägt hatten. Als er seit den 1960er Jahren auch in Westdeutschland von sich reden machte – in der DDR wurde jenes Buch erst kurz vor Ladenschluss 1989 publiziert –, war er von vornherein dem Missverständnis ausgesetzt, bei der Kulturindustrie handle es sich um ein amerikanisches Exportprodukt und bei den weniger erfolgreichen heimischen Künstlern womöglich um Opfer des Imperialismus. Andere meinten bald, der Begriff Kulturindustrie sei überhaupt wenig geeignet, ein Phänomen zu begreifen, das sie lieber als Populärkultur bezeichneten und von etwas wie Kunst nicht einmal mehr unterscheiden wollten. In der Tat kommt er einem heute merkwürdig altmodisch vor. Man denkt dabei eher an den tadellos gekleideten Patriarchen eines Filmstudios als an einen Burschen im Kapuzenpulli, der aber längst sehr viel reicher und einflussreicher ist als je ein Hollywood-Magnat. Als polemische Metapher verfängt der Ausdruck Kulturindustrie nicht mehr so recht: Kultur allein schon klingt heute mehr nach Bürokratie als nach Beethoven und Goethe, und in der Industrie ist hierzulande weniger als ein Viertel aller Erwerbstätigen noch beschäftigt. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Begriff darum obsolet wäre. In der Kulturindustrie, wie immer man sie nun nennen mag, herrscht Vollbeschäftigung, was vor allem daran liegt, dass an ihr auch all diejenigen mitarbeiten, die dafür nicht bezahlt werden, sondern sogar selbst zahlen. Wir alle nämlich.
In der Vorlesung soll es sowohl um den Begriff Kulturindustrie im Zusammenhang der Kritischen Theorie als auch um die Geschichte des Phänomens gehen, das vormals Massenkultur und schließlich Populärkultur genannt wurde. „Der totale Zusammenhang der Kulturindustrie, der nichts ausläßt“ (Adorno), wird vielleicht umso besser erkennbar, wenn der Schein grenzenloser Vielfalt ebenso total geworden ist.

Literatur:
Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung. Aufklärung als Massenbetrug
Adorno: Résumé über Kulturindustrie
Duckheim: Die Welt noch einmal