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Zur Kategorie der Arbeit. Kritik und Analyse eines gesellschaftlichen Verhältnisses Podiumsdiskussion mit Daniel Göcht und Ernst Lohoff
Daniel Göcht:
Arbeit als Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Welt, als Vermittlung ihres Stoffwechsels mit der Natur, begleitet die Menschheit in ihrer Geschichte als „ewige Naturnotwendigkeit“. Es ist die Art und Weise wie Menschen ihre Lebensmittel gewinnen und zugleich die Grundlage der menschlichen Geschichte. In der tätigen Auseinandersetzung mit den Naturgegenständen gewinnen die Menschen neue Fähigkeiten und neue Bedürfnisse und treten so in einen Entwicklungsprozess ein. Das tun sie nicht bewusst, aber sie tun es. Die menschliche Produktion findet immer schon in gesellschaftlichen Zusammenhängen statt, im entwickelten Kapitalismus im globalen Maßstab. Nicht erst im Kapitalismus, aber hier vollends, erscheint die eigene Tätigkeit und der gesellschaftliche Zusammenhang, in der sie steht, als eine fremde Macht, die das eigene Handeln beherrscht. Auch die eigenen produktiven Kräfte erscheinen als solche des Kapitals, mithin als fremd und gewinnen aufgrund ihrer Unbeherrschtheit einen mitunter destruktiven Charakter. Die gesellschaftliche Seite der Arbeit wird hier als Wert vergegenständlicht, dessen Vermehrung zum Selbstzweck und damit maßlos wird. Die (fraglos nicht nur wünschenswerte, vielmehr notwendige) Überwindung dieser Produktionsweise würde gewiss nicht das Ende der Arbeit bedeuten, sondern die Aneignung ihres gesellschaftlichen Charakters und mehr und mehr die Beherrschung der eigenen produktiven Kräfte durch die arbeitenden Menschen selbst.
Daniel Göcht hat Philosophie und Germanistik studiert, mit einer Arbeit über Georg Lukács promoviert und arbeitet bei einer Gewerkschaft.
Ernst Lohoff:
Seit dem 19. Jahrhundert gilt die Arbeit quer durch die politischen Lager als unantastbar und heilig. Erst die Arbeit machte aus Affen Menschen, meinte Engels. Die Volksgemeinschaft der Nazis vereinte die „Arbeiter der Stirn und Faust“. „Gute Arbeit“ verspricht die SPD regelmäßig auf ihren Wahlplakaten. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Menschen haben keineswegs schon immer gearbeitet. Nur eine Gesellschaft, die allen Reichtum in Warenreichtum verwandelt, verwandelt alles gesellschaftlich anerkannte Tun in dasselbe, in Arbeit. Die Arbeit ist zusammen mit dem Kapitalismus entstanden und diesen überwinden, bedeutet an die Stelle der Arbeit freie Tätigkeit setzen. Gute Arbeit, nicht entfremde Arbeit sind ein Widerspruch in sich. Wo gearbeitet wird, da geht es um Produktion, um der Produktion willen und nicht um menschliche Bedürfnisse. Arbeit ist untrennbar mit einem hochgradig zerstörerischen Verhältnis zur Natur verbunden, mit Selbstunterdrückung und mit der Abwertung von Care-Tätigkeiten. Keines der drängenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit, von der Klimakatastrophe über die soziale Frage bis zur sexistischen und rassistischen Gewalt lässt sich letztlich lösen, solange die Arbeit der Kitt sein soll, der die Gesellschaft zusammenhält. Die Kritik der Arbeit wäre ein Eckpfeiler eines Emanzipationsprogramms, das diesen Namen verdient.
Ernst Lohoff, Jahrgang 1960, ist freier Autor, Mitbegründer der Zeitschrift „Krisis“ und Mitautor des Manifestes gegen die Arbeit.