Referat Politische Bildung

Ringvorlesung: Schön sei das Wahre und das Schöne war. Ästhetik und Kritik in der gesellschaftlichen Totalität

****

Prüfungsformalitäten zur Klausur:

Die Klausur wird als ganztägiges Take-Home Exam am 19. Juli stattfinden.
Wir senden euch morgens drei Fragen oder Thesen zu, von denen ihr dann eine auswählt und in einem kurzen Essay beantwortet bzw. diskutiert.
Wer an der Klausur teilnehmen möchte, schreibe bitte eine formlose Mail an: pob@stura.tu-dresden.de

****

Beginn: 05.04.2023, 19:00 Uhr
Ort: objekt klein a (Meschwitzstraße 9, 01099 Dresden)

Ästhetik wird gemeinhin als das Schöne verstanden, meint jedoch grundsätzlich die Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung, der Sinnlichkeit überhaupt. Das Ästhetische wiederum verweist “im weitesten Sinne auf die sinnliche Erscheinung” (W.F. Haug) selbst. Das Schöne und das Hässliche, das Angenehme und das Unangenehme sind folglich ebenfalls ästhetische Kategorien. Dass diese Dinge nichts mit Gesellschaft und Politik zu tun haben, ist ein verbreiteter Trugschluss.
Ob in der Stadtplanung und Architektur die vermeintlich lebenswerte, schöne Stadt entworfen wird, oder uns in den Regalen von Supermärkten Verpackungen allein durch ihr Aussehen dazu verführen sollen, angepriesene Waren zu kaufen – unsere Sinne werden ständig affiziert. Die harmonisch aneinandergereihten Beats lassen die Menschen tanzen und die "richtige" Dramaturgie von Filmen lässt sie weinen – offenbar ist die sinnliche Wahrnehmung beinah überall, insbesondere jenseits des unmittelbaren Nutzens, von großer Bedeutung.
Und während in unserer Alltagswelt die Dinge so designt werden, dass sie zwischen Versprechen und Massenbetrug pendeln, soll Kunst aus den Museen ausbrechen. Ihr wird aufgetragen – zum Beispiel durch mitunter obskur anmutende Performances mit politischem Anstrich – endlich gesellschaftliche Relevanz zu erlangen. Das geht soweit, dass sie von bloßer Politik kaum zu unterscheiden ist, bedient sich letztere doch selbst zunehmend ästhetischer Praktiken.
Angesichts der “Jagd” nach den Sinnen der Massen, selbst bis in die kleinsten kulturellen Nischen hinein, muss gefragt werden, welcher Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Sinnlichkeit besteht. Möglich werden kann das, indem der negativ im Spannungsfeld von Begriff und Sache der Ästhetik liegenden Wahrheit durch Kritik nachgegangen wird. Heute ist die reale, ebenso wie die virtuelle, Umwelt, in großen Teilen von der Warenästhetik gezeichnet, während Kunst und Kultur von Popstars dominiert werden. Es gilt deshalb, sich dem Problemfeld zwischen Wahrheitsmoment von Kunst und Werk in aktuellen ästhetischen Erscheinungen und deren Ideologie zu stellen. Womöglich lässt sich das Sinnliche theoretisch noch fassen, indem man fragt: Warum werden in dieser Gesellschaft den Dingen genau die uns erscheinenden ästhetischen Formen gegeben? So könnte man vielleicht auch negativ der Frage näher kommen, die schon Aristoteles stellte: Warum wird das schöne, gute und wahre Leben nicht verwirklicht?
Eine Annäherung an diese und weitere Fragen wird das Ziel unserer Ringvorlesung sein, welche gesellschaftskritische Aspekte von Ästhetik versammelt.

Die Ringvorlesung beginnt am 05. April 2023 und wird immer mittwochs 19:00 Uhr im objekt klein a stattfinden. Es wird die Möglichkeit geben, im Rahmen des Studium Generale verschiedene Scheine zu bekommen.

Informationen für das studium generale: Wer einen Sitzschein erhalten möchte, muss an 80 Prozent der Veranstaltungen teilgenommen haben. Um das nachzuweisen bringt bitte zu allen Veranstaltungen ein Papier (formlos) mit, auf welchem ihr euren Namen und den Inhalt (Teilnahme an RV Schön sei das Wahre und das Schöne war) vermerkt habt. Darauf sind dann die jeweiligen Daten tabellarisch zu vermerken und wir unterschreiben am jeweiligen Datum bei Anwesenheit.

Konkrete Informationen für die Klausur folgen in Kürze. Bis dahin wurde dazu bereits einiges in der Einführungsveranstaltung gesagt, die ihr euch online anhören könnt.

 

Einzelveranstaltungen:

05.04.2023
Referat Politische Bildung:
Einführung.
Ästhetik und Kritik in der gesellschaftlichen Totalität

Hier kann der Input gehört werden.

Die Einführung durch das Referat Politische Bildung soll der ersten Annäherung an die Fragen, welchen wir uns in diesem Semester widmen werden, dienen. Zudem werden wichtige Informationen für organisatorische Zwecke (studium generale etc.) bereitgestellt.
Im inhaltlichen Part werden wir zum einen das Konzept und die Ideen, theoretischen und praktischen Probleme, welche uns zur Ringvorlesung führten, vorstellen. Dadurch soll ein möglichst nachvollziehbarer Einsteig in unser diesjähriges Programm ermöglicht werden. Insbesondere wollen wir dabei anhand der Reihe umreißen, inwiefern Kritik, Ästhetik und Gesellschaft zusammengedacht werden und was für uns bisher daraus folgte (siehe Ankündigungstext der RV). Weiterhin sollen die konkret geplanten Veranstaltungen eingeführt und deren Zusammenhang im genannten Sinne kurz erläutert werden. Danach wird noch reichlich Zeit für Diskussion, Fragen, Anmerkungen und das ein oder andere Getränk sein.

Literatur:
Klasen, Isabelle (2015): "Erfahrung wider das Ich". Überlegungen zu einem Begriff des Schönen nach Adorno. In: Devi Dumbadze und Christoph Hesse (Hg.): Unreglementierte Erfahrung. Freiburg: ça ira, S. 143–174
Hindrichs, Gunnar (2000): Scheitern als Rettung. Ästhetische Erfahrung nach Adorno. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (74), S. 146–175.
Haug, Wolfgang Fritz (2009): Kritik der Warenästhetik. Gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 25-31; 72-88
Duckheim, Simon; Braunstein, Dirk (2016): Für immer beerdigt und ewig blamiert. Aspekte einer materialistischen Ästhetik „verrückter Kunst“. In: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie 3, H. 2., S. 300–318
Duckheim, Simon (2012): Reklame für die Welt, wie sie ist. Kulturindustrie und identifizierendes Denken. In: D. Braunstein, S. Dittmann und I. Klasen (Hg.): Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie, Berlin: Verbrecher Verlag, S. 65–110
Adorno, Theodor W. (2003): Ästhetische Theorie. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Gesammelte Schriften Bd. 7), u.a. S. 9-30; 334-347

Themenblock 1: Begriffliche Einführung

12.04.2023
Maxi Berger:
Entgrenzung der Künste und Ideologie

Hier kann der Vortrag gehört werden.

Schaut man sich in den aktuellen Debatten innerhalb der ästhetischen Theorien um, dann scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass es „die Kunst“ im traditionellen Sinne nicht mehr gibt. Und tatsächlich haben sich die Themen und Gestaltungsweisen dessen, was nicht mehr Kunst ist, vervielfältigt und vermengen sich bis zur Unkenntlichkeit mit Problemen und Stellungnahmen des Alltags. Das wird nicht erst mit der letzten Documenta deutlich, sondern schon durch die Readymades zu Beginn des 20 Jh. thematisch.
Andererseits versammeln sich aber unter dem Titel Kunst dennoch bis heute auch spezifische Artefakte und Produktionen, die sich ebenso wenig ohne ästhetische Kategorien beschreiben lassen. Angefangen bei gestalterischen Problemen im Design bis hin zu partizipativen Projekten gibt es Momente, die auf die Kunst (zurück-)verweisen.
In diesem Vortrag soll deshalb danach gefragt werden, wie der traditionelle Kunstbegriff aus Sicht der ästhetischen Theorie bestimmt war und warum er sich nicht bruchlos auf Phänomene heutiger Kunst übertragen lässt. Und es soll gefragt werden, was dennoch bis heute das Spezifische der Kunst ist, wie sich Phänomene der Kunst von anderen Phänomenen unterscheiden, oder vorsichtiger: ob sie sich unterscheiden lassen.

19.04.2023
Susanne Kogler:
Auf den Spuren eines klingenden Materialismus: Musik und Gesellschaft nach Theodor W. Adorno

Hier kann der Vortrag gehört werden.

Ziel des Vortrags ist es, auf Basis der musikalischen Schriften Adornos Beispiele zu diskutieren, die bestimmte Aspekte der Bezüge zwischen Gesellschaft und Kunst anhand der Musik erhellen können. Dabei werden wir im 18. Jahrhundert mit Mozart beginnen, mit Bizet und Wagner ins 19. und mit Richard Strauss und Anton Webern ins 20. Jahrhundert kommen und - Adorno weiterdenkend - bis in die Gegenwart fortschreiten. Für das 21. Jahrhundert werden aktuelle Stücke von österreichischen Komponistinnen - Pia Palme und Elisabeth Harnik herangezogen. Adornos Theorie wird dabei in spezifischer Weise einen materialistischen Hintergrund bilden bzw. es wird zu erläutern sein, inwieweit sein Vorgehen als aktuelle materialistische Ästhetik angesehen werden kann.
 

Themenblock 2: Ästhetik und Gesellschaftskritik

26.04.2023
Christoph Hesse:
Kulturindustrie, das sind wir alle

Hier kann der Vortrag gehört werden.

Kaum ein Begriff der Kritischen Theorie fand so weite Verbreitung wie der der Kulturindustrie, den Horkheimer und Adorno in der im kalifornischen Exil entstandenen Dialektik der Aufklärung (1947) geprägt hatten. Als er seit den 1960er Jahren auch in Westdeutschland von sich reden machte – in der DDR wurde jenes Buch erst kurz vor Ladenschluss 1989 publiziert –, war er von vornherein dem Missverständnis ausgesetzt, bei der Kulturindustrie handle es sich um ein amerikanisches Exportprodukt und bei den weniger erfolgreichen heimischen Künstlern womöglich um Opfer des Imperialismus. Andere meinten bald, der Begriff Kulturindustrie sei überhaupt wenig geeignet, ein Phänomen zu begreifen, das sie lieber als Populärkultur bezeichneten und von etwas wie Kunst nicht einmal mehr unterscheiden wollten. In der Tat kommt er einem heute merkwürdig altmodisch vor. Man denkt dabei eher an den tadellos gekleideten Patriarchen eines Filmstudios als an einen Burschen im Kapuzenpulli, der aber längst sehr viel reicher und einflussreicher ist als je ein Hollywood-Magnat. Als polemische Metapher verfängt der Ausdruck Kulturindustrie nicht mehr so recht: Kultur allein schon klingt heute mehr nach Bürokratie als nach Beethoven und Goethe, und in der Industrie ist hierzulande weniger als ein Viertel aller Erwerbstätigen noch beschäftigt. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Begriff darum obsolet wäre. In der Kulturindustrie, wie immer man sie nun nennen mag, herrscht Vollbeschäftigung, was vor allem daran liegt, dass an ihr auch all diejenigen mitarbeiten, die dafür nicht bezahlt werden, sondern sogar selbst zahlen. Wir alle nämlich.
In der Vorlesung soll es sowohl um den Begriff Kulturindustrie im Zusammenhang der Kritischen Theorie als auch um die Geschichte des Phänomens gehen, das vormals Massenkultur und schließlich Populärkultur genannt wurde. „Der totale Zusammenhang der Kulturindustrie, der nichts ausläßt“ (Adorno), wird vielleicht umso besser erkennbar, wenn der Schein grenzenloser Vielfalt ebenso total geworden ist.

Christoph Hesse ist Film-/Literaturwissenschaftler und Übersetzer, Mitarbeiter des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der FU Berlin, Mitherausgeber der Werke des Schriftstellers Hermann Borchardt (zwei von fünf Bänden im Göttinger Wallstein Verlag bereits erschienen). Buchveröffentlichungen u.a.: Schiffbruch beim Spagat. Wirres aus Geist und Gesellschaft (2022, mit Dirk Braunstein), Filmexil Sowjetunion (2017), Unreglementierte Erfahrung (2015, hg. mit Devi Dumbadze); Briefe an Bertolt Brecht im Exil (2014, hg. mit Hermann Haarmann); Filmform und Fetisch (2006).

Literatur:
Adorno Theodor W., Horkheimer Max (1947):Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug. In: Dialektik der Aufklärung. philosophische Fragmente : Frankfurt am Main
Adorno, Theodor W. (1963): Résumé über Kulturindustrie. In: Ders.: Kulturkritik und
Gesellschaft I. Gesammelte Schriften Bd. 10.1. Frankfurt a. M.
Duckheim, Simon (2012): Reklame für die Welt, wie sie ist. Kulturindustrie und identifizierendes Denken. In: D. Braunstein, S. Dittmann und I. Klasen (Hg.): Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie, Berlin: Verbrecher Verlag, S. 65–110


03.05.2023
Roger Behrens:
Das Unvermögen der Realität.
Kritische Theorie, Kunst, Kulturindustrie

Hier kann der Vortrag gehört werden.


Dem Ende der Kunst, das Hegel proklamierte, folgte eineinhalb Jahrhunderte später ein Ende der Ästhetik (so etwa Werckmeisters Deutung von Adornos ›Ästhetischer Theorie‹); beides sind Enden, die keineswegs ein Verschwinden von Kunst und Ästhetik meinen (was immer das auch wäre), sondern vielmehr eine Übersteigerung von Kunst und Ästhetik, die in einem sozialen Sinnverlust, etwa in Banalisierung und Belanglosigkeit ihren Ausdruck findet; »Entkunstung der Kunst« (Adorno) und »Ästhetisierung der Politik« (Benjamin) sind dabei verkoppelt miteinander beziehungsweise mit der – wenn man so will – ästhetischen Ambivalenz des sozialen Status der Kunst: in Hinblick auf die Verschränkung von Wertvergesellschaftung und Ideologie. In der Kritik der Kulturindustrie wurde das begriffen als Kommodifizierung (Zur-Ware-Werden). Das jedenfalls ist der Befund einer kritischen Theorie der Gesellschaft (deren Arbeitszusammenhang sich vor einhundert Jahren konstituierte).
Dagegen steht eine merkwürdige Rezeption und »Weiterentwicklung« dieses Befunds einer längst in all ihren Facetten akademisch eingehegten Kritischen Theorie und ihrer über die Fachrichtungen und Forschungsperspektiven verstreuten Derivate (ein bisschen Adorno schadet nie, auch wenn er vom Jazz keine Ahnung hatte): Behauptet wird hier weiterhin die sachliche Differenz von Kunst und Kulturindustrie, ohne auch nur die Grundfragen kritischer Gesellschaftstheorie überhaupt zu stellen, geschweige denn – wenigstens versuchsweise – zu beantworten. Drittmittelprojekte und die eigene (prekäre) Situation im Wissenschaftsbetrieb lassen das auch kaum zu, die Berufsstandswahrung geht vor.
Dazu wären allerdings einfache Fragen zu stellen: Was wollten wir eigentlich von der Kunst, und was wollen wir heute von ihr? Welche Bedeutung hat dabei die Ästhetik – für uns? Wie steht es um die »Kulturindustrie« – und wer sind eigentlich »wir«? – Und wieso heißt der Vortrag ›Das Unvermögen der Realität‹?


10.05.2023
Sonja Witte:
Ware Bilder – Zum Unheimlichen des Unbewussten in der Kulturindustrie

Hier kann der Vortrag gehört werden.

Mit dem Begriff „Kulturindustrie“ sind in der Kritischen Theorie Adornos verschiedene Überlegungen zu kulturellen Prozessen und Phänomen im Kapitalismus verbunden. Dabei geht es u.a. um die Frage, inwiefern das gesellschaftliche Prinzip der Warenförmigkeit in medialen Techniken und Ästhetiken sowie deren Rezeption wirksam ist. Hieran anknüpfend nimmt der Vortrag insbesondere unbewusste Aspekte der Beziehung zwischen Bildern und Subjekten in den Blick – und zwar ausgehend von Freuds Theorie des Unheimlichen. Entlang von Filmmaterial (u.a. aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“; F 2001, P. Jeunet) wird der Annahme gefolgt, dass das Unheimliche ein Bereich ist, in dem konflikthafte Konstellationen kulturindustrieller Prozesse für Subjekte in Erscheinung treten können. Im Unheimlichen – so lautet die These – kommen poröse Momente kultureller Vergesellschaftungsprozesse zum Vorschein, in denen sich Ambivalenzen von Schrecken und Lust der Warenförmigkeit geltend machen.

Sonja Witte ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im MA-Studiengang Kulturwissenschaften – Psychoanalyse und Kultur an der International Psychoanalytic University (IPU) Berlin sowie als freiberufliche Referentin und Lehrbeauftragte u.a. an der Universität Bielefeld tätig. Sie promovierte an der Universität Bremen, die Dissertationsschrift „Symptome der Kulturindustrie – Dynamiken des Spiels und des Unheimlichen in Filmtheorien und ästhetischem Material“ ist 2018 im transcript-Verlag erschienen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Psychoanalytischer Subjekt-, Medien- und Kulturtheorie, Kritischer Theorie und Sexualitäts- und Geschlechterforschung.

Literatur:
Witte, Sonja 2018 Symptome der Kulturindustrie – Dynamiken des Spiels und des Unheimlichen in Filmtheorien und ästhetischem Material. Bielefeld.
Gast, Lilli 2011 Das Unheimliche der Ambivalenz. In: Forum für Psychoanalyse, Nr. 27/4, 2011, S. 349–358.
Freud, Sigmund 1919h Das Unheimliche. GW XII, S. 229–268. Frankfurt am Main 1999.
Adorno, Theodor W. 1969b Komposition für deHie

 

17.05.2023
Franz Heilgendorff: Das Schicksal der Sinnlichkeit unter spätkapitalistischen Bedingungen.
Hier kann der Vortrag gehört werden.

 

Wenn hier vom Schicksal der Sinnlichkeit gesprochen wird, soll dies auf das sinnliche Erkenntnisvermögen verweisen und als dieses wird im Vortrag Ästhetik aufgefasst werden. Marx folgend bedeutet Sinnlichkeit die Fähigkeit, die Umwelt in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse zu erfahren. Ein nichtrepressive Form vorausgesetzt sind so Empfindung und Erkenntnis verbunden, wie es sich in den klassischen ästhetischen Kategorien des Wahren, Schönen und Guten abzeichnete.
Diese Doppelstruktur sinnlichen Erkenntnisvermögens verweist mittels der Empfindung als Lust oder Unlust auf die psychische Disposition und Bedürfnisstruktur des Einzelnen; die Wahrnehmung als erkenntnistheoretisches Moment auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung. Beides wird in der kritischen Theorie gesellschaftlich vorstrukturiert gedacht, denn der sinnliche Bezug auf die Gegenstände ist nicht , wie noch bei Kant vermittels der Anschauungsformen von Raum und Zeit, von aller Geschichte abgetrennt. An ihre Stelle rückt die Totalität von Gesellschaft, in der sich die Formbestimmung der Dinge vollzieht. Die kantsche Überlegung, dass wir von den Dingen nur das erkennen, was wir selbst in sie hineinlegen, erhält so eine völlig neue Bedeutung und die Frage der Gegenstandskonstitution wird zum Kern einer kritischen Theorie der Gesellschaft.

Exemplarisch vollzogen wird diese Denkbewegung am Begriff der Warenästhetik, dem der Vortrag gewidmet ist. Auf den ersten Blick um Probleme der Ästhetik und Psychologie kreisend, zielt er auf die materielle Basis der Herrschaft des Kapitals, denn die Ware löst ein doppeltes Realisationsproblem: In ihrem ästhetischen Gebrauchswertversprechen, dass der Realisierung der Kapitalverwertung dient (1), knüpft die Ware an die psychologische Verfasstheit der Einzelnen an und stellt eine Bewegungsform ihrer Wünsche, Träume und Bedürfnisse dar (2). Mittels der Warenwelt entsteht eine neue organisatorische Qualität, in der sich der repressive kapitalistische Produktionsprozess mit Begriffen der Bedürfnisbefriedigung verbindet, andererseits aber auch verdrängten und unbewussten Bedürfnissen eine Ausdrucksform gibt. Was zuvor nur der Kunst vorbehalten war, die Wirklichkeit in freiem Spiel umzugestalten, spiegelt sich so ideologisch in der sogenannten Ästhetisierung der Lebenswelt.

Zugleich zeichnet sich jedoch in den multiplen Krisen der Gegenwart und des Subjekts ab, dass diese Form der Bedürfnisbefriedigung repressiv, Vehikel des kapitalistischen Produktionsprozesses bleibt. Kritische Theorie orientiert dagegen im Ringen um das schöne, gute und wahre Leben auf Prozesse kollektiver Selbstorganisation, in der die Wahrnehmung von Bedürfnissen die Fähigkeit schafft, politische Phantasie außerhalb bestehender gesellschaftlicher Kategorien zu entwickeln.

Literatur:
Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte vom Jahre 1844, Reclam Verlag, 1988
Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1 (=MEW 23)
Wolfgang Fritz Haug, Kritik der Warenästhetik, Suhrkamp 2009
Hans Jürgen Krahl, Konstitution und Klassenkampf, Verlag Neue Kritik, 2008 (1971)
Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, zu Klampen (2014)


24.05.2023
Aljoscha Bijlsma:
Einstand des Sinnlosen.
Zu Theodor W. Adornos Ästhetik nach Auschwitz
Hier kann der Vortrag gehört werden.

 

Kunst ist für Theodor W. Adorno die gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft. Antithesis, weil sie autonom, zugleich gesellschaftlich, weil sie fait social ist. Gesellschaft teilt also ohne Unterlass der Zone der Autonomie der Kunst sich mit. Die Ästhetische Theorie Adornos kann mitsamt den musikalischen und literarischen Schriften als eine Auseinandersetzung mit dieser Antinomie begriffen werden.
Was schon vor dem „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) eine nicht aufzulösende Antinomie darstellte, radikalisierte sich durch die Erfahrung, dass Auschwitz möglich war und weiterhin möglich ist, zu einer radikalen Infragestellung der Daseinsberechtigung von Kunst. Wir Heutigen haben uns längst daran gewöhnt, in postnazistischen Zeiten zu leben. Der Satz Adornos, nach dem es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben – 1949 gegen die wieder auferstandene Kultur formuliert – provoziert deshalb noch immer, weil er ungeschminkt den Schock transportiert, der mit Auschwitz als historischer Erfahrung verbunden ist. In späteren Arbeiten wird die Erfahrung jenes Schocks noch radikalisiert: Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll, heißt es in der Negativen Dialektik.
Die Versuchung ist groß, angesichts dieser ausweglosen Konstellation in Schweigen zu verfallen. Dies gilt für die Kritik ebenso wie für die Kunst. Gäbe man der Versuchung nach, machte man sich aber erst recht zum Komplizen der Verhältnisse. Für den Bereich der Kunst hieße Schweigen, der alles absorbierenden Kulturindustrie das Feld zu überlassen. Das Diktum, Gedichte nach Auschwitz zu schreiben, sei barbarisch, muss also ergänzt werden: Man muss Gedichte schreiben, solange es ein Bewusstsein des Leidens unter den Menschen gibt, und zwar als objektive Gestalt dieses Bewusstseins. Diese Gestalt aber kann keine mehr sein, die aus ihrer konkreten Zusammensetzung den Schein von Sinn erzeugt, sondern die Negation von Sinn wird in der Ästhetischen Theorie Adornos zur aporetischen Gestalt von Kunst. Die sinnlosen oder sinnfremden Werke werden mehr als bloß sinnlos, weil ihnen Gehalt in der Negation von Sinn zuwächst.

Aljoscha Bijlsma ist Redaktionsmitglied der ideologiekritischen Zeitschrift sans phrase. Veröffentlichungen zur Musikphilosophie, Ästhetischen Theorie und zur Kritik der politischen Ökonomie.

Der Vortrag ist zudem Teil der Veranstaltungsreihe "Auseinandersetzungen zur Gegenwart des Antisemitismus", die von einigen Dresdner Gruppen in Kooperation organisiert wird.

Literatur:
Theodor W. Adorno: Das Kapitel „Stimmigkeit und Sinn“ aus der Ästhetischen Theorie (Gesammelte Schriften 7), 205–244.
Theodor W. Adorno: „Kulturkritik und Gesellschaft“, in: Prismen (Gesammelte Schriften 10/1), 11–30.
Theodor W. Adorno: Metaphysik. Begriff und Probleme (1965), herausgegeben von Rolf Tiedemann (Nachgelassene Schriften IV/14), Frankfurt a. M. 1998, insbesondere die 14. Vorlesung „Zur Liquidation des Ichs“ (161ff.).
Weiterführend: Gerhard Scheit: Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno, Freiburg 2011, 164–192.
 

Exkurs

26.05.2023

Podium:
Ästhetik - Gesellschaft - Kritik.
Gegenstand, Möglichkeit und Interesse ästhetischer Theorie heute
Ort: Blaue Fabrik, Eisenbahnstraße 1, 01097 Dresden
 
Kunst scheint heute nicht nur angesichts ihrer zunehmenden Heteronomie sondern ebenfalls in Anbetracht der Veränderung ihrer Produktionsbedingungen, kaum mehr den Anforderungen zu entsprechen, welche einstmals an die ernste Kunst gestellt wurden. Die arbeitsteilige Produktion der, nunmehr für die – mitunter politische - Vermarktung produzierten, Kunstwaren führt die Rede des im Kunstwerk vergegenständlichten subjektiven Geistes ad absurdum. Ästhetische Formen scheinen in den durch die kulturindustrielle Lehre erprobten Hör- und Sehgewohnheiten der Sozialatome ständig wiederzukehren, sich in Museum, Kino und Werbung zu wiederholen. Im Kunstwerk wird die Aura vergangenen Glanzes gesucht, die doch vermittelt von der – dennoch Emanzipation ermöglichenden – technischen Reproduktion, welche dieses der popkulturell gebildeten Rezipientin erst bekannt machte, nicht mehr anders denn als Kitsch zu erfahren ist. Angesichts dieser Lage der Kunst und des Ästhetischen, welche zwar noch kleine Ausblicke gewährt – die Möglichkeit auf Anderes zum Beispiel im Unheimlichen von Kunst und Kulturindustrie zu suchen – scheint es kaum mehr möglich, noch weniger nötig, Ästhetik nach ihren gesellschaftskritischen Möglichkeiten zu befragen. 
 
Allerdings ergeben sich aus diesen Beobachtungen, ihrer Reflexion und Kritik, Erkenntnisse über die Probleme wie die Begriffsstutzigkeit einer bewusstlosen Gesellschaft, welche über sich selbst aufzuklären ist. Ausgehend vom Gegenstand der Ästhetik muss deshalb danach gefragt werden, wie sich das Verhältnis von Kunst und ästhetischer Theorie heute darstellt. Es soll zudem darauf aufbauend die Frage gestellt werden, inwiefern heute die Grenzen ästhetischer Kritik zu bestimmen sind, da ästhetische Formen, nicht nur die objektiv kitschigen, längst ein bewusstloses Eigenleben führen, welches die Käufer und Wähler affiziert und die Unvernunft dieser Gesellschaft auch auf sinnlich-äshtetischer Ebene vollends zu realisieren scheinen. 
 
So wird es in der Podiumsdiskussion zunächst zwei einführende Inputs von Maria Muhle und Claus-Steffen Mahnkopf geben. Sie werden sich damit auseinandersetzen, inwiefern es für die Theorie möglich oder überhaupt nötig ist, die Begriffe Kunst und Ästhetik zu bestimmen, um daraufhin das heutige Verhältnis beider Entitäten zueinander zu hinterfragen. Aus den Ergebnissen dieser Frage nach dem Verhältnis schließlich entwickeln sie Schlussfolgerungen, welche die Möglichkeiten gesellschaftskritischer Ästhetik in den Blick nehmen, während sie zugleich dem Anliegen ästhetischer Theorie angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse nachgehen. 
Die anschließende Diskussion wird von Giovanna Caruso moderiert und soll die in den Vorträgen bereits eingeführten Fragen insbesondere in Hinsicht auf die Notwendigkeit ästhetischer Kritik fortführen und konkretisieren.
 
Die Veranstaltung findet in der Blauen Fabrik (Eisenbahnstraße 1, 01097 Dresden) statt – bei gutem Wetter im Außenbereich. Es wird, wie sonst auch, die Möglichkeit geben, Getränke zu erwerben.
 

Themenblock 3: Ästhetische Politik und politische Kunst

07.06.2023
Jakob Hayner:
Entzauberte und wiederverzauberte Welt.
Zur Wiederkehr der Romantik in Zeiten der Kulturindustrie

Der „kapitalistische Realismus“ der Kulturindustrie wird seit jeher von einem romantischen Double begleitet. Die Romantik fordert die Wiederverzauberung der entzauberten Welt, oftmals in der Gestalt eines „ästhetischen Fundamentalismus“. Georg Lukács sprach von einem „romantischen Antikapitalismus“ als Vorzeichen von ästhetischer und politischer Regression. Der Vortrag wird diskutieren, was unter Romantik in der Moderne zu verstehen ist und wie sie sich zur Kulturindustrie verhält. Die These ist, dass der „ästhetische Kapitalismus“ auf Romantik nicht verzichten kann und dass das romantische Unbehagen an der Einrichtung der Welt zur Verklärung statt Aufklärung neigt. Das wird einerseits historisch rekonstruiert, andererseits anhand aktueller Beispiele wie die Documenta erläutert. Zuletzt soll gezeigt werden, auf welche gesellschaftlichen Voraussetzungen die ungebrochene und widersprüchliche Faszination der Romantik basiert.
 

14.06.2023
Michael Hirsch:
Ästhetisierung der Politik – Politisierung der Kunst.
  Ästhetik und Politik im Spätkapitalismus
  

Der Vortrag versucht eine geschichtliche Rekonstruktion der Spannung von Kunst und Politik von Kant und Schiller über die kritisch-materialistischen Theorien von Walter Benjamin und Theodor W. Adorno bis zur Gegenwart. Ausgehend von der Definition von Ästhetik als emphatische, durchaus gesellschaftskritisch gemeinte Wahrheit eines zweckfreien Bereichs des schönen Scheins bei Schiller und Kant sollen die Begriffe Kunstautonomie, (rechte) Ästhetisierung von Politik und (linke) Politisierung der Kunst anhand historischer Beispiele anschaulich gemacht werden. Für fortschrittliches Denken und ästhetische Bildung der Zukunft wesentlich ist dabei die Erkenntnis des widersprüchlichen Zusammenhangs von radikaler Aufklärung und Deutschem Idealismus auf der einen, kritisch-materialistischer Theorie und sozialen Bewegungen auf der anderen Seite. Stellen doch erstere ein großartiges Versprechen der sinnlichen wie geistigen Entfaltung der Erfahrungspotentiale des Menschen dar – letzteres hingegen die kritische Erkenntnis der entfremdeten Existenzbedingungen in der kapitalistischen Lohnarbeitsgesellschaft, die die Erfüllung dieses Versprechens den meisten bis heute vorenthält.

PD Dr. phil. Michael Hirsch ist Philosoph, Politikwissenschaftler und Kunsttheoretiker. Er lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Siegen und lebt als freier Autor und Dozent in München. Jüngere Publikationen waren: Kulturarbeit. Progressive Desillusionierung und professionelle Amateure (2022); Richtig falsch. Es gibt ein richtiges Leben im falschen (2019); Logik der Unterscheidung. 10 Thesen zu Kunst und Politik (2015)
 

Literatur:
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935), Berlin: Suhrkamp 2022.
Hirsch, Michael. Logik der Unterscheidung - Zehn Thesen zu Kunst und Politik. Hamburg: Textem 2015.
Hirsch, Michael: Souveräne Melancholie - Annie Ernaux, der Hypermarché und wir. SWR 2020. 
https://www.swr.de/swr2/doku-und-feature/souveraene-melancholie-swr2-essay-2020-05-11-108.html
Hirsch, Michael. "Die Welt noch einmal." Utopien ästhetischer Erfahrung jenseits politisierter Kunst. Becker/Hagen/von Samson (Hgg.). Ästhetik nach Adorno. Positionen zur Gegenwartskunst. Berlin: Verbrecher 2022. 27-48.
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft (1790), Werkausgabe Bd. X, Frankfurt am Main 1974.
Liessmann, Konrad Paul: Philosophie der modernen Kunst. Eine Einführung, UTB 1999
Rancière, Jacques. Die Aufteilung des Sinnlichen: Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Maria Muhle (Hrsg.) POLYpen 2006.
Schiller, Friedrich. Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), Stuttgart: Reclam 2000.
 

Themenblock 4: Kritische Ästhetik am "Werk"

21.06.2023
Sven Kramer

Ingeborg Bachmanns »Buch Franza«: Gewaltverhältnisse und Subjektkonstitution

In ihrem »Todesarten«-Projekt geht Bachmann alltäglichen Gewaltverhältnissen nach. Das Romanfragment »Das Buch Franza«, das in diesen Zusammenhang gehört, thematisiert weiterhin bestehende autoritäre Strukturen aus der Zeit des Nationalsozialismus, gewalthaltige Geschlechterverhältnisse und asymmetrische Strukturen zwischen Menschen aus Europa und Nordafrika. Für die einhergehenden komplexen Überlagerungen erschreibt sich Bachmann eine literarische Form, die sie aber später wieder verwirft. Der Vortrag rekonstruiert neben den unterschiedlichen Gewaltverhältnissen vor allem die Schreibweise Bachmanns und geht auch auf die Rezeption des Textes ein.

Literatur:

Bachmann, Ingeborg: »Todesarten«-Projekt, unter der Leitung von Robert Pichl hg. v. Monika Albrecht und Dirk Göttsche, 4 Bde., München und Zürich: Piper, 1995, Bd. 2: Das Buch Franza.
Albrecht, Monika: »Sire, this village is yours«. Ingeborg Bachmanns Romanfragment »Das Buch Franza« aus postkolonialer Sicht, in: Monika Albrecht und Dirk Göttsche (Hg.): Literatur- und kulturwissenschaftliche Essays zum Werk Ingeborg Bachmanns, Bd. 3, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, S. 159-169.
Lennox, Sara: »White Ladies« und »Dark Continents«. Ingeborg Bachmanns Todesarten-Projekt aus postkolonialer Sicht, in: Monika Albrecht und Dirk Göttsche (Hg.): Über die Zeit schreiben. Literatur- und kulturwissenschaftliche Essays zu Ingeborg Bachmanns Todesarten-Projekt, Würzburg 1998, S. 13-31.
Uerlings, Herbert: »Ich bin von niedriger Rasse«. (Post-)Kolonialismus und Geschlechterdifferenz in der deutschen Literatur, Köln u. a. 2006, S. 116-177.


 

28.06.2023
Niels-Christian Fritsche:
Steine, Geister und Ideen –
Wer hat wen im Griff?
Die Baukunst uns oder wir sie?

Was unterscheidet Bauen von Baukunst („Architektur“)? Uns fallen sofort hässliche Häuser ein. Was aber ist gebaute Schönheit? Können wir uns allgemeinverständlich, eigeninteressenfrei sowie vorbildungsunabhängig über Baukunst unterhalten, oder sollten wir nicht über Geschmäcker streiten?
Ausgehend vom Dreieck aus Schönheit, Richtigkeit und Gerechtigkeit spreche ich über die Totalität unserer Existenz, die (Un-)Möglichkeit des Beschreibens von Raum, über Besitz und Eigentum sowie Luft-, Wasser- und Bodenrecht. Wie funktioniert die Baukaskade von Lagerfeuer, Trampelpfad, Hütte, Garten, Haus und Straße in Dorf, Stadt und Landschaft? Fragen wir uns zusammen: Müssen Bauformen und Nutzungen etwas miteinander zu tun haben? Wie verwirbeln sich Kunst, Handwerk und Technik? Helfen uns Beispiele und Bilder beim Diskutieren über gebaute Schönheit oder erschweren sie das Verallgemeinern? Wir reden über das gute Alte, Neuigkeitsdoktrinen sowie Ideologien von Glas- und Steinarchitekt:innen. Darf Baukunst überall gleich aussehen oder werden damit Orts- und Zeitbezüge vernachlässigt? (Wie) rettet uns Landschaftsbaukunst („Landschaftsarchitektur“) im menschengemachten Klimawandel?
Zurück zum Dreieck aus Schönheit, Richtigkeit und Gerechtigkeit: Fragen wir uns allgemein und an Ihren Baukunst-Beispielen: Wer entwirft, wer zahlt, wer profitiert, wer freut sich, wer wird nicht gefragt und wer leidet?

Leseempfehlungen:
de Botton. Alain: Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2008.
Bohning, Ingo: „Autonome Architektur“ und „partizipatorisches Bauen“. Zwei Architekturkonzepte. Basel: Birkhäuser, 1981.
Maak, Niklas: Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen. München: Hanser, 2014.
Schoper, Tom: Zur Identität von Architektur. Vier zentrale Konzeptionen architektonischer Gestaltung. Bielefeld: transcript, 2010.
Valéry, Paul: Eupalinos oder Über die Architektur 1923. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973.
Venturi, Robert: Komplexität und Widerspruch in der Architektur 1966. Braunschweig: Vieweg & Sohn, 1978.

05.07.2023
Mario C.Schmidt
Let’s analyze! – Aufklärung als Massenbetrug


Kulturindustrie ist ein gesellschaftliches Phänomen. Adorno und Horkheimer charakterisieren sie mit der paradox anmutenden Formulierung: »Aufklärung als Massenbetrug«. Mit dieser Formulierung ist aber vor allem zum Ausdruck gebracht, dass die Kulturindustrie als etwas anderes erscheint als was sie in Wahrheit ist.
Genauso aber wie die Kulturindustrie als Ganzes genommen ein Betrug auf gesellschaftlicher Ebene ist, so sind auch die ihre einzelnen Produkte Betrug an jedem Einzelnen. Um diesen Betrug aufzuspüren, ist es notwendig, sich mit der Ästhetik dieser Produkte auseinanderzusetzen und den Versuch zu wagen, eine Analyse der Waren anzugehen, die die Kulturindustrie feilbietet.
In meinem Vortrag möchte ich mit Ihnen zusammen einige exemplarische Produkte – insbesondere musikalische Produkte – analysieren und dabei einige grundsätzliche Fragen der Analyse und damit auch der Kritik an der ästhetischen Dimension kulturindustrieller Produkte ansprechen.

 

Themenblock 5: Darüber hinaus (utopische Potenziale)

12.07.2023
Franziska Wildt:
Ästhetik des Widerstands nach Peter Weiss und G.W.F. Hegel

Der Vortrag entwickelt die Frage nach der gesellschaftstheoretischen Bedeutung der Ästhetik im
Spannungsfeld von Peter Weiss’ Roman Die Ästhetik des Widerstands und G.W.F. Hegels
Vorlesungen über die Ästhetik.
Der Begriff “Ästhetik” ist für Hegel der schönen Kunst unangemessen, weil er suggeriert, es ginge
hier bloß um Sinnliches. Die Kunst weist ihm zu Folge über dieses bloß den Sinnen Gegebene
hinaus. Sie hat wie die Philosophie einen geistigen Gehalt. Anders als die Philosophie vermittelt sie
diesen Gehalt jedoch durch sinnliche Ausdrucksmittel. Der Gegenstand der philosophischen
Ästhetik ist also zugleich sinnlich und Negation des Sinnlichen. Hegel begreift diese
widersprüchliche Form der Kunst als ihren Mangel gegenüber der Philosophie. — In diesem
“Mangel” kann man jedoch auch einen Vorzug sehen: gerade weil die Kunst durch ihre
Ausdrucksmittel auf die sinnlich-materielle Wirklichkeit der Gesellschaft verwiesen bleibt, ist sie
für deren Kritik relevant. Ästhetik als Theorie der Kunst ist so zugleich als Gesellschaftskritik zu
verstehen.
Doch in welchem Verhältnis steht die Ästhetik als Gesellschaftskritik zur Kunst? — Für Hegel hat
die Ästhetik als philosophische Theorie der Kunst den “Mangel” ihres Gegenstands überwunden,
weil ihr Denken keiner sinnlich-materiellen Vermittlung mehr bedarf. Diese Auffassung von
Ästhetik impliziert jedoch eine “Anästhetisierung” des Denkens. Um dem kritischen Gehalt der
Kunst gerecht zu werden, bedarf es entgegen einer solchen anästhetisierten Ästhetik einer
“ästhetischen Theorie”, oder einer “Ästhetik des Widerstands”. — Die Ästhetik des Widerstands von
Peter Weiss wird als ein künstlerisches Gegenmodell zu Hegels Ästhetik diskutiert, die sich der
Anästhetisierung der ästhetischen Form widersetzt.

Literatur
Weiss, Peter, Die Ästhetik des Widerstands, Berlin 2016.
Hegel, G.W.F., Vorlesungen über die Ästhetik I-III, in: Moldenhauer, Eva; Michel, Karl Markus
(Hg), Werke, Bd.13-15, Frankfurt/M. 1986.

 

 

 

---

Archive

Hier findet ihr alle noch erhaltenen Aufnahmen der Veranstaltungen, die in den letzten Jahren vom Referat für Politische Bildung organisiert wurden. Die Bibliothekt wird stetig aktualisiert.

Infos bzgl. aktueller Veranstaltungen findet ihr unter dem Reiter "Veranstaltungen PoB" (rechts)

 

Über das Referat Politische Bildung:

Wir wollen Studierende motivieren, am gesellschaftspolitischen Leben - theoretisch wie praktisch - teilzunehmen und sich aktiv einzubringen. Sie sollen die notwendige Sensibilität entwickeln um herrschende gesellschaftliche Zustände kritisch zu hinterfragen und gesellschaftliche Debatten fundiert mitzubestimmen. Hierfür ist es unabdingbar, die in solchen Debatten immer schon vorhandenen und verwendeten Begriffe bezüglich ihres gesellschaftlichen Gehalts aufzuklären. Wo kommen die Begriffe historisch her, mit denen aktuelle gesellschaftliche Ereignisse gedacht werden? Treffen diese das gedachte Ereignis überhaupt noch und falls nicht, was hat sich verändert? Nur indem die vorausgesetzten Begriffe, die zur Erklärung gesellschaftlicher Ereignisse dienen sollen, aufgeklärt werden, können gesellschaftliche Ereignisse begriffen werden.

Insofern versteht das Referat Politische Bildung die Universität nicht als bloßen Ort des Wissenskonsums, als eine Meinungsfabrik, sondern als einen Raum der aktiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Denken und dem Denken der Gesellschaft.

Einen solchen Raum möchte das Referat Politische Bildung schaffen - und zwar gemeinsam mit den Studierenden. Habt ihr also Lust dies mit uns zu tun, dann kommt bei unseren Veranstaltungen vorbei, bringt euch aktiv ein und macht am besten gleich bei uns mit.

Beste Grüße,

euer Referat Politische Bildung

 

   
Kontakt: pob[at]stura.tu-dresden.de
Sprechzeit: mit Voranmeldung
Mitglieder:
  • Cornelia B.
  • Pauline B.
  • Joel F.
  • Natalia F.
  • David L.
  • Max M.
  • Anna-Lena S.
  • Tim S.
  • Tom T.
  • Paula K.
Aufgaben:

Die Politische Bildung der Studierenden ist die Aufgabe des Referats Politische Bildung. Das bedeutet, Toleranz, Emanzipation und Kritikfähigkeit zu vermitteln und zu stärken und so demokratische Spielregeln bei den Studierenden zu verankern. Verständnis für politische Sachverhalte soll gefördert, und so das demokratische Bewusstsein gefestigt und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit gestärkt werden. Insbesondere zählt zu den Aufgaben des Referats Politische Bildung:

  • Organisation und Durchführung von geeigneten Veranstaltungen (z.B. Seminare, Podiumsdiskussionen),
  • Förderung der demokratischen Fähigkeiten der Studierenden - insbesondere der studentischen Gremienmitglieder - an der TU (z.B. Sensibilisierung für hierachische Strukturen in Diskussionen),
  • Regelmäßige Zuarbeit zu den Medien des StuRa (Internetseite und Newsletter) im Sinne der politischen Bildung und
  • Aufklärung der Student/inn/en über politische Gruppierungen an der Universität

Aus diesen Aufgaben ergbit sich die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit mit dem Referat für Öffentlichkeitsarbeit.